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BY-NC-ND 4.0 license Open Access Published by De Gruyter Oldenbourg June 9, 2023

Betriebliche Digitalisierungsprozesse

Neue Beteiligungsofferten, neue arbeitspolitische Chancen?

Digitalization processes in companies
New participation offers, new opportunities for labor politics?
  • Yalcin Kutlu , Bettina Seibold , Walter Mugler , Eva Kirner and Sandra Klatt
From the journal Arbeit

Zusammenfassung

Mit der fortschreitenden Digitalisierung werden sowohl Hoffnungen auf steigende Beteiligungsmöglichkeiten von Beschäftigten und betrieblichen Interessenvertretungen als auch Befürchtungen bezüglich neuer Kontrollpotenziale und Rationalisierungsmöglichkeiten von Arbeit verbunden. Ausgehend von der arbeitspolitischen Prämisse, dass Digitalisierung gestaltbar ist, befasst sich der Beitrag mit Fragen von Partizipationsmöglichkeiten von Betriebsräten und Beschäftigten im Digitalisierungsprozess anhand von empirischen Forschungsergebnissen in digitalisierungsaktiven Betrieben. Dabei werden feldspezifische Formen von Beteiligung, deren Reichweite und Qualität sowie das Beteiligungsinteresse der betrieblichen Akteur*innen beschrieben. Außerdem wird ein charakteristisches Zusammenspiel von direkter und indirekter Partizipation identifiziert, das grobe Interessenverletzungen verhindert.

Abstract

The ongoing digitalization of work is associated with both hopes for increasing participation opportunities for employees and workplace representatives and fears and threats regarding new control potentials and possibilities for rationalization of work. Based on the approach that digitalization can be shaped, the article deals with questions of participation possibilities of works councils and employees in the digitalization process on the basis of empirical research results in companies actively pursuing digitalization. Field-specific forms of participation, their scope, quality, as well as the company actorsʼ participation interests are described. In addition, a characteristic interplay of direct and indirect participation is identified, which prevents gross violations of labor interests.

1 Einleitung

Mit der Digitalisierung von Industriearbeit werden sowohl Hoffnungen auf steigende Beteiligungsmöglichkeiten von Beschäftigten und betrieblichen Interessenvertretungen als auch Befürchtungen neuer Kontrollpotenziale von Arbeit verbunden. Damit einher gehen arbeitspolitische Diskussionen, in denen vor allem Gewerkschaften die Gestaltbarkeit von Digitalisierung betonen. Zumindest auf diskursiver Ebene scheint zwischen Management und Gewerkschaften ein eigentümlicher Konsens darüber zu herrschen, dass die Gestaltung der digitalen Transformation Beteiligungsprozesse in Betrieben benötigt und vorantreibt. Diese münden in betriebliche Aushandlungs- und Veränderungsprozesse. In unserem Beitrag ist der Veränderungsprozess selbst Untersuchungsgegenstand.

Wir unterscheiden dabei vier Formen der Digitalisierung [1]: (1) Konventionelle Digitalisierung mit bewährten Technologien, die insbesondere in den meisten Großbetrieben längst Stand der Technik sind (z.B. konventionelle Roboter, selbstfahrende Transportsysteme, betriebswirtschaftliche Standardsoftware/ERP). (2) Nutzung bewährter Formen des Internets für die interne und externe Kommunikation (z.B. für Konferenzlösungen, soziale Netzwerke, Cloud-Datenplattformen oder digitale Absatzkanäle). (3) Eine Kombination bewährter und neuer Technologien in neuen Anwendungsfeldern (z.B. Robotic Process Automation und Datenbrillen). (4) Nutzung neuer 4.0-Technologien. [2] Mit Blick auf die Handlungs- und Beteiligungsoptionen von Beschäftigten und Interessenvertretungen in besonders digitalisierungsaktiven [3] Betrieben stehen nachfolgende Fragen im Vordergrund: Entstehen im Zuge der digitalen Transformation von Unternehmen neue Beteiligungsformen für Betriebsräte und Beschäftigte und wie werden diese ausgestaltet? Bieten diese neuen Beteiligungsformen Spielräume für progressive arbeitspolitische Kompromissbildungen? Lassen sich die neuen Partizipationsformate einem arbeits- oder einem effizienzorientierten Partizipationsparadigma (vgl. Kap. 2) zuordnen? Dabei überprüfen wir, ob trotz aller Beteiligungsrhetorik, funktionaler Notwendigkeit von Beteiligung im Digitalisierungsprozess und tatsächlicher Beteiligungsangebote seitens des Managements die Beteiligung auf Effizienz, Optimierungsziele und Wirtschaftlichkeit begrenzt bleibt bzw. ob in die Aushandlungen auch arbeitsorientierte Interessen der Beschäftigten erfolgreich eingebracht werden können.

In vorliegendem Beitrag orientieren wir uns zunächst an Begriffsbestimmungen aus der arbeits- und industriesoziologischen Partizipationsforschung und referieren aktuelle sozialwissenschaftliche Befunde zur Beschäftigten- und Betriebsratsbeteiligung im Digitalisierungsprozess (Kapitel 2). In Kapitel 3 stellen wir die Methodik und die Empirie vor, auf denen der Beitrag fußt. Die empirischen Ergebnisse werden im vierten Kapitel präsentiert. Im Fazit (Kapitel 5) werden die genannten Ausgangsannahmen diskutiert und ein Resümee gezogen.

2 Begriffsbestimmungen und Forschungsstand

2.1 Zwischen arbeits- und effizienzorientiertem Partizipationsparadigma

Partizipation bezeichnet „einen machtrelevanten Austauschprozess, der Lohnabhängige an Entscheidungen beteiligt, die zuvor in die exklusive Zuständigkeit des Managements fielen“ (Dörre 2001a, 382). Es können mehrere Formen von Partizipation unterschieden werden. Direkte Partizipation von Beschäftigten meint die unmittelbare Teilnahme von Beschäftigten an betrieblichen Entscheidungen ohne eine vermittelnde und repräsentative Instanz. Sie bezieht sich meist auf das Arbeitssystem und/oder die konkrete Arbeitsplatzgestaltung und findet z.B. im Rahmen von Gruppen- und Teamarbeit oder an Einzelarbeitsplätzen durch Qualitätszirkel, in KVP-Workshops und Zielvereinbarungsgesprächen statt. Informelle direkte Partizipation umfasst vom Management einseitig gewährte, nicht formalisierte, institutionell und rechtlich schwach abgesicherte und damit prinzipiell unverbindliche Beteiligungsmöglichkeiten der Beschäftigten (vgl. Ittermann 2009, 26).

Formelle Partizipation wird demgegenüber in Gesetzen, tarifvertraglichen Regelungen und Betriebsvereinbarungen schriftlich fixiert und erfolgt über eine Repräsentationsinstanz. Die Beteiligung erfolgt an Entscheidungen, die sowohl die Arbeitsplatzgestaltung als auch die Gesamtorganisation betreffen (z.B. Beschäftigungssicherung), und beinhaltet eine (unternehmens)strategische Ebene. Die formelle Partizipation bezieht sich damit auf Betriebsräte, die durch das Betriebsverfassungsgesetz über Informations-, Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte verfügen. [4]

In der industriesoziologischen Partizipationsforschung wird zwischen einem arbeits- und einem effizienzorientierten Partizipationsparadigma (vgl. Müller-Jentsch 2001, 208; Brinkmann/Nachtwey 2017, 16) unterschieden. Dabei ist zwischen Paradigma und betrieblicher Praxis zu differenzieren. So konstatiert Dörre, dass sich in der betrieblichen Praxis „weder unternehmerische noch arbeitsorientierte Beteiligungsparadigmen in reiner Form durchsetzen“ (Dörre 2002, 27), und betont den Interessenaushandlungscharakter, der Partizipation stets innewohnt. Partizipationsprozesse in der digitalen Transformation sind somit Teil von betrieblichen Aushandlungsprozessen (vgl. Trinczek 2010).

Im effizienzorientierten Partizipationsparadigma werden die Beschäftigten durch das Management in ihrer Organisationsrolle adressiert. Themen- und Zielsetzung der direkten Beteiligung von Beschäftigten werden durch das Management definiert. Partizipation wird vom Management gewährt, um das Erfahrungswissen der Beschäftigten für „Rationalisierung in Eigenregie“ (Dörre 2001b, 690) zu mobilisieren. Die Beschäftigten werden somit vom Objekt der Rationalisierung, die im Fordismus klassischerweise durch Reflexionswissen von Expert*innen von „außen“ erfolgte, zum Subjekt. Die Partizipation dient primär wirtschaftlichen Effizienz- und Rationalisierungszielen. Da Beteiligung jedoch – auch in ihrer effizienzorientiertesten Form – nicht erzwungen oder herrschaftlich angeordnet werden kann, ist ein „stiller Zwang zum Kompromiss“ (Dörre 2002, 27) konstituierender Bestandteil dieses Paradigmas.

Im Diskussionsstrang des arbeitsorientierten Partizipationsparadigmas können Beschäftigte ihre Interessen als Lohnabhängige in den Beteiligungsprozess einbringen. Dörre (2001a, 382) spezifiziert solche direkte Beschäftigtenbeteiligung als eine Partizipation, die „dazu beiträgt, ‚Asymmetrien im lohnabhängigen Arbeitsverhältnis [zu] korrigieren‘ und damit auch die Stellung der Lohnabhängigen in der Gesellschaft zu verbessern“. Ähnlich bestimmen Brinkmann und Nachtwey (2017, 16) „selbstbestimmte Partizipation“ als eine Form der Beteiligung an Unternehmensentscheidungen, „die die Machtverhältnisse im Betrieb verschiebt bzw. die Macht des Managements begrenzt“. Neben den Beschäftigten können Betriebsräte und Gewerkschaften Impulsgeber und Treiber eines Aushandlungsprozesses werden, um ein effizienzorientiertes Partizipationsparadigma zu einem arbeitsorientierten weiterzuentwickeln, in dem die Beschäftigten in ihrer Organisationsrolle und mit ihren Interessen als Lohnabhängige berücksichtigt werden.

Im aktuellen sozialwissenschaftlichen Digitalisierungsdiskurs scheint ein Konsens über die funktionale Notwendigkeit von direkter Beschäftigtenbeteiligung zu bestehen (vgl. Hirsch-Kreinsen 2014; Kuhlmann/Schumann 2015; Nies 2020, 99; Carls u.a. 2020, 92; Sattelberger u.a. 2015). Auch das BMAS-Weißbuch erklärt „die Stärkung partizipatorischer Elemente […] zum wohlverstandenen betrieblichen Interesse“ (BMAS 2017, 154). Begründet wird dies mit der Notwendigkeit, das Erfahrungswissen der Beschäftigten für die passgenaue Integration von digitalen Technologien in bestehende Produktionssysteme zu nutzen und diese damit insgesamt effizienter zu gestalten. Dadurch soll die Innovationsgeschwindigkeit erhöht werden, um agil auf Markterfordernisse reagieren zu können. Auch ökonomisch zahle sich Beschäftigtenbeteiligung aus. Dafür sprechen einschlägige Untersuchungen zum Zusammenhang von Beteiligung und Unternehmenserfolg bei Innovationsprojekten (vgl. Schwarz-Kocher u.a. 2011; Klippert u.a. 2009; Kirner u.a. 2010). Beschäftigtenbeteiligung gilt somit als funktional wie ökonomisch geboten.

2.2 Sozialwissenschaftliche Befunde zur Beteiligung von Beschäftigten und Betriebsrat im Digitalisierungsprozess

In aktuellen arbeits- und industriesoziologischen Studien wird bei der digitalen Transformation der Unternehmen fast durchweg ein Defizit an direkter Beteiligung von Beschäftigten postuliert (vgl. u.a. Kuhlmann/Voskamp 2019; Butollo u.a. 2018; Ehrlich/Engel 2018). Die Beteiligung der Beschäftigten bei Digitalisierungsprozessen „bleibt eher die Ausnahme“ (Kuhlmann/Schumann 2015, 136), diese liefen „überwiegend top-down und ohne Einbeziehung der Belegschaft“ (Matuschek u.a. 2018, 1) lautet der Tenor. Auch der Forschungsreport „Digitalisierung in Industrieunternehmen“, der Ergebnisse aus vier Forschungsprojekten zusammenfasst, schätzt die direkte Beteiligung von Beschäftigten bei der Einführung digitaler Technologien als gering ein: „Beispiele für eine aktive, maßgebliche Beteiligung von Praktikern bei der Systementwicklung sind die Ausnahme“ (Falkenberg u.a. 2020, 18). Quantitative Befragungen bestätigen diese Befunde. So hat die IG Metall (2019) in einer groß angelegten Untersuchung ca. 2000 Betriebsratsgremien befragt. Demnach seien 72 Prozent der Beschäftigten nicht ausreichend über zukünftige Änderungen in ihrem Betrieb informiert, lediglich 6 Prozent seien gut informiert. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die Mehrheit der Studien eher zu der Einschätzung geringer Beteiligungsmöglichkeiten kommt. Jedoch gibt es auch einige davon abweichende Studien, die zumindest für Großunternehmen zu einem differenzierten und in der Tendenz eher positiven Urteil bezüglich der Beteiligung von Beschäftigten und Betriebsräten im Digitalisierungsprozess kommen (vgl. Hirsch-Kreinsen 2020).

Auch die Beteiligung von Betriebsräten wird meist als defizitär beschrieben (vgl. Falkenberg u.a. 2020; Gerst 2020). Aktuelle qualitative und quantitative Studien zur Partizipation von Betriebsräten scheinen eine unzureichende Einbindung der Betriebsräte in Digitalisierungsprozesse zu bestätigen. So kommt die bereits erwähnte Befragung der IG Metall (2019) zu dem Ergebnis, dass „eine frühzeitige Information der Betriebsräte über Veränderungsprojekte“ in 52 Prozent der Betriebe nicht stattfindet. Die „Einbindung der Betriebsräte zur Mitgestaltung in Projekten“ sei noch geringer, 62 Prozent gaben an, dass sie nicht gegeben sei. Angesichts des Umstands, dass in die Befragung ausschließlich Betriebe mit einem Betriebsrat einbezogen waren, kommt Mayer-Ahuja (2020, 82) zu dem Schluss, dass umso ersichtlicher sei, „wie gering der Einfluss der Beschäftigten und ihrer betrieblichen oder gewerkschaftlichen Interessenvertretung auf den Einsatz digitaler Technologien tatsächlich ist“. Für Dienstleistungen bekräftigen Zanker u.a. (2019, 30) den Befund: 57 Prozent der Befragten geben an, dass die betrieblichen Mitbestimmungsorgane bei der Planung und Durchführung von Innovationsvorhaben kaum oder gar nicht einbezogen seien. Ein ähnliches Fazit ziehen Dispan und Schwarz-Kocher in ihrer Untersuchung über den Maschinenbau in Deutschland. Auch hier seien „Betriebsräte oftmals nicht systematisch und nicht früh genug bei der Einführung von digitalen Technologien oder von Software-Systemen seitens der Unternehmensleitung eingebunden“ (Dispan/Schwarz-Kocher 2018, 72). Matuschek und Kleemann sehen in der fehlenden Partizipation sogar ein „Grundproblem der Mitbestimmung in Zeiten des digitalen Wandels“ (Matuschek/Kleemann 2019, 198). Abweichend davon beobachtet Hirsch-Kreinsen (2020) in Großunternehmen eine überwiegend sozialpartnerschaftliche Beziehung zwischen Management und Betriebsrat, die meist Beteiligungsprozesse ermögliche. Hier werde der Betriebsrat „vom Management in der Regel als wichtiger Partner im Industrie 4.0-Einführungsprozess betrachtet“ (ebd., 115).

Welche Gründe werden für die Nicht-Beteiligung der Betriebsräte genannt? Es wird in den vorliegenden Studien der Status quo in Sachen Digitalisierung als „konzertierte Verunsicherung“ (Matuschek/Kleemann 2019) der Betriebsräte und des Managements beschrieben. Aufgrund der (Über-)Komplexität könnten Betriebsräte konkrete Folgen und Nebenfolgen der Digitalisierung nur schwer abschätzen (vgl. ebd., 195). Dies erschwere es Betriebsräten, Handlungsstrategien zu entwickeln und mit dem Management in Aushandlungsprozesse zu treten (vgl. ebd.). Ferner wird allgemeiner eine „arbeitspolitische Überlastung“ (Kuhlmann/Voskamp 2019, 65) konstatiert, weshalb sich Betriebsräte auf „Kernaufgaben zurückziehen“ (ebd.), wozu die Mitgestaltung digitaler Innovationsprozesse nicht zählt. Pfeiffer (2014) spricht hier von einer „Partizipations- und Technikzögerlichkeit“ der Betriebsräte. Hertwig (2005) hingegen betont eine spezifische „Betriebsratskultur“ (ebd., 13), die produktionsnahe Themen priorisiere, digitale Tools im Dienstleistungsbereich vernachlässige und weniger Beteiligungsanstrengungen der Betriebsräte zur Folge habe. Im „ver.di-Innovationsbarometer 2019 – Künstliche Intelligenz“ (Zanker u.a. 2019, 31) wurden ca. 1000 Betriebs- und Personalräte nach Gründen befragt, weshalb sie sich nicht stärker engagieren. Am häufigsten wurden folgende vier Gründe genannt: zeitliche Überlastung, andere Prioritäten in den Mitbestimmungsorganen, fehlende Kenntnisse über Innovationsmanagement und mangelndes Interesse des Managements.

Insgesamt kommen die Studien zu dem Schluss, dass die Betriebsräte gewöhnlich nicht umfassend an Digitalisierungsprojekten beteiligt werden bzw. sich selbst daran beteiligen. Sie nehmen meist keine prozessbegleitende Rolle ein.

3 Methodik und Empirie

Der Beitrag stützt sich insbesondere auf sechs im Rahmen des Forschungsprojekts „lean&digital“ [5] durchgeführte Betriebsfallstudien in digitalisierungsaktiven Betrieben. [6] Die Unternehmen hatten Erfahrungen mit bereits realisierten Digitalisierungsvorhaben, die auf Prozessinnovation (und nicht auf Produktinnovation oder Geschäftsmodelle) zielen, sowie mit Methoden und Prinzipien des Lean Management. Recherchiert wurden die Fallbetriebe auf einschlägigen Digitalisierungsplattformen und -netzwerken (z.B. Allianz Industrie 4.0 Baden-Württemberg, Plattform Industrie 4.0, 100 Orte Baden-Württemberg). Zwei von ihnen wurden aufgrund ihrer herausgehobenen Digitalisierungsprojekte mehrfach ausgezeichnet. Ein Kriterium war auch, ob wir aus IMU-Betriebsratsberatungen (70–100 im Jahr zu verschiedensten Themenfeldern) wussten, dass dort tatsächlich umfangreiche Digitalisierungsprojekte durchgeführt und nicht nur angekündigt werden. Folgende elf Digitalisierungsprojekte wurden im Zeitraum von April 2019 bis August 2020 näher untersucht: in den Bürobereichen Robotic Process Automation (RPA) und die Digitalisierung von Prozessen wie z.B. Workflows oder digitale Integration aller Kundeninformationen („Know your customer“) mit Entscheidungsvorklärungen; in den Produktionsbereichen u.a. folgende Themen: digitaler Zwilling in der Fertigung und Montage, vollautomatisierte Fertigungs-/Montagemodule mit autonomen und kollaborierenden Robotern, digitale Assistenzsysteme (Smart Watch in Logistik/Service) (siehe Tabelle 1).

Tab. 1

Übersicht Fallbetriebe

Charakterisierung Gesamtproj. Digitalisierung Digitalisierungsprojekt (Fallstudienfokus) Charakterisierung Bez. Arbeitgeber-Betriebsrat
Fallbetrieb A, Metall- und Elektroindustrie, ≈ 400 Beschäftigte, Hauptprodukt Elektromotoren
komplette Reorganisation der Fabrik als Alternative zur Standortschließung; insgesamt 80 Projekte, 30 davon abgeschlossen Fall 1: RPA im Auftragseingang Fall 2: Vernetzung und digitale Zwillinge in Montage und Fertigung Pfadwechsel nach heftigem Konflikt um versäumte Digit.; aktuell hochgradig kooperative Zusammenarbeit AG-BR bei Realisierung der Digit.-Projekte

Fallbetrieb B, Metall- und Elektroindustrie, ≈ 1.850 Besch., Hauptprod. Verbrennungsmotoren
komplette Reorganisation der Motorenmontage des Teileflusses Fall 3: Zusammenspiel von Werker-Komplettmontage und hochkomplexer Prozess- und Werkzeugsteuerung mittels Global Positioning System kooperative Zusammenarbeit im Digitalisierungsprozess

Fallbetrieb C, Metall-und Elektroindustrie, ≈ 3500 Beschäftigte, Hauptprodukt Sensoren
keine Gesamtstrategie, da Business Units relativ selbstständig agieren; daher kein einheitliches Zusammenspiel von Lean und Digit. Fall 4: RPA im Einkauf Fall 5: innerbetriebliche Ultra- Breitband-Technologie zum Tracking von Produkten, Paletten, Fahrzeugen etc. Fall 6: 4.0 Factory mit Automated Guided Carts, Big Data Cloud, vollautomatisierten Fertigungs-/Montagemodulen, autonomen und kollaborierenden Robotern, Tracing and Tracking, Dashboards, Remote-Zugriff durch Dome-Kameras kritisch-kooperative Zusammenarbeit im Digitalisierungsprozess

Fallbetrieb D, Metall- und Elektroindustrie, ≈ 900 Beschäftigte, Hauptprodukt Reinigungswerkzeuge
komplette digitalisierungsbasierte Reorganisation der Fabrik (20 Einzelprojekte) Fall 7: MES [7] mit Funktionen zur Ermittlung des Leistungslohns Fall 8: Digitalisierung des Shopfloor Management (inkl. KVP) hochgradig kooperative Zusammenarbeit als Grundprinzip betrieblicher Arbeitsbeziehungen

Fallbetrieb E, Chemieindustrie, ≈1.200 Beschäftigte, Hauptprodukt Medizinprodukte
„Smart-Company-Projekt“ mit 5 Komponenten (Smart Work Tools, Smart Data Management, Smart Products, Mindset für Arbeiten 4.0, überbetriebl. 4.0-Netzwerk) Fall 9: Smart Watch in Logistik und Predictive Maintenance Fall 10: KI-Einsatz zur Synchronisation einer Produktionsstraße konflikthafte AG-BR-Grundsituation, jedoch gute Kooperation bei Digitalisierungsprojekten

Fallbetrieb F, Banken, ≈ 1950 Beschäftigte, Hauptprodukt Finanzdienstleistungen
Prozessverbesserungen im gesamten Unternehmen (u.a. Robotics, moderne Kommunikationsmittel), um bereits laufenden Personalabbau um 60% teilweise auszugleichen Fall 11: teilweise Automatisierung des Know-your- customer-Prozesses: digitale Integration aller Kunden- informationen mit Entscheidungsvorklärungen kritisch-kooperative Zusammenarbeit im Digitalisierungsprozess zur Realisierung von Rationalisierungsgewinnen

Die Fallstudien umfassten leitfadengestützte Expert*inneninterviews, Werksbegehungen und Dokumentenanalysen. Dabei wurden Personen aus verschiedenen Unternehmensbereichen befragt: Geschäftsführung/Werksleitung, Führungskräfte im Digitalisierungsprozess, Betriebsrat, Produktionsleitung/Lean-Expert*innen, technische Projektverantwortliche. Insgesamt wurden mit 48 Personen Interviews geführt, protokolliert und inhaltsanalytisch ausgewertet (vgl. Gläser/Laudel 2010). Zudem wurden Interviews mit zehn Expert*innen aus Wissenschaft und Gewerkschaften geführt sowie vorläufige Thesen mit Expert*innen aus den Sozialwissenschaften diskutiert.

4 Empirische Befunde

4.1 Direkte Beteiligung der Beschäftigten

4.1.1 Stellenwert von Beschäftigtenbeteiligung im Management: funktionale Notwendigkeit im Digitalisierungsprozess

In allen Fallbetrieben artikuliert das Management durchweg einen hohen Stellenwert direkter Beschäftigtenbeteiligung. Allen Unternehmen ist es ausgesprochen wichtig, die Akzeptanz der Beschäftigten für die bereits laufende und noch kommende digitale Transformation zu gewinnen, ihr Erfahrungswissen zu nutzen, Ängste abzubauen und Technikakzeptanz herzustellen. Das Management erkennt die funktionale Notwendigkeit, Erfahrungswissen der Beschäftigten zu berücksichtigen, um im Digitalisierungsprozess die Potenziale digitaler Technologien zu erschließen. Ohne das Wissen und die Bereitschaft der Beschäftigten, den Digitalisierungsprozess mitzutragen, kann dieses Potenzial nicht ausgeschöpft werden, so die befragten Managementvertreter*innen. Durchweg wird betont, wie wichtig, ja unabdingbar es sei, die Mitarbeiter*innen „mitzunehmen“, „auf die Leute im Umfeld zu hören“ und ein neues „Mindset“ zu etablieren. Das deutet auch darauf hin, dass Beschäftigte, die (noch) nicht in Digitalisierungsprojekte involviert sind, für eine Beteiligung am Digitalisierungsprozess gewonnen werden sollen.

„Das ist das Wichtigste, dass man die Leute am Findungsprozess und am Entwicklungsprozess, soweit es geht, mit beteiligt."

Fallbetrieb D, Fertigungsleiter

Tatsächlich werden in allen Fallbetrieben große Anstrengungen unternommen, um Beschäftigte zu informieren und in den Projekten direkte Beteiligung zu organisieren. Es werden Informationsveranstaltungen verschiedenster Art durchgeführt. Neben klassischen Formen wie Betriebs- und Abteilungsversammlungen, Info-Materialien, Betriebszeitungen u.a. gibt es neue Formate wie „Digi-Days“ [8] oder „Roadshows“ [9]. Sie dienen dazu, möglichst die gesamte Belegschaft darüber zu informieren, welche Möglichkeiten 4.0-Technologien bieten und was betrieblich konkret geplant ist.

Darüber hinaus werden Beschäftigte direkt in der Entwicklung von Use Cases beteiligt. So wurden im Fallbetrieb C von den Beschäftigten im Einkauf Ideen für RPAs entwickelt, im Projektteam validiert (von fünf Ideen wurden schließlich drei realisiert) und priorisiert und parallel zur Freigabe an den Betriebsrat gegeben.

Auf Basis unserer Empirie lassen sich ferner drei Aspekte benennen, die einen positiven Einfluss auf arbeitspolitische Handlungsspielräume haben. Zum einen sind das (1) günstige Renditebedingungen, die in den Fallbetrieben – aufgrund einer hervorragenden Marktstellung (C, D) oder sehr hoher Renditen im Konzern (B) – bestanden, sodass es nicht zu massivem Druck auf die Beschäftigten kam. In zwei weiteren Fällen (A, F) wurden die Renditeerwartungen durch Personalabbau vor der Digitalisierung erfüllt. Oder zugespitzt formuliert: Die Fallbetriebe können sich Beteiligung „leisten“. Zum anderen scheinen (2) ausgeprägte Lean-Erfahrungen in zwei Fallbetrieben (E, D) eine Beteiligungskultur etabliert zu haben, die auch bei Digitalisierungsprojekten weiterwirkt, sodass beispielsweise trotz hoher Renditeerwartungen des amerikanischen Mutterkonzerns (E) arbeitspolitische Handlungsspielräume vorhanden waren. Schließlich scheint (3) eine problemzentrierte Vorgehensweise (im Unterschied zu einer strategiezentrierten Vorgehensweise) bei der Digitalisierung eher Beteiligungsmöglichkeiten und arbeitspolitische Handlungsspielräume zu eröffnen.

4.1.2 Formen, Beteiligungsgegenstand und Reichweite direkter Beschäftigtenbeteiligung

Wir finden in allen Fallbetrieben unseres Samples eine Bandbreite an Formen der direkten Beteiligung der Beschäftigten. Im Zuge von Digitalisierungsprozessen werden neue temporäre, wenig institutionalisierte, rechtlich schwach kodifizierte und selektive Beteiligungsofferten seitens des Managements für Beschäftigte geschaffen. Die Beteiligungsmöglichkeiten können sich auf den Planungs- und Entwicklungsprozess, den Implementierungsprozess, auf die Aneignung der neuen Tools oder schließlich auf deren alltägliche Nutzung und Optimierung beziehen. Beschäftigte werden durch die Beteiligungsofferten des Managements primär in ihrer berufsfachlichen Rolle angesprochen. Sie sollen ihre fachlichen Kompetenzen und Erfahrungswissen einbringen, um auf diese Weise Entscheidungen und Planungsprozesse zu verbessern. In anderen Worten: Beschäftigte werden im Rationalisierungsprozess zu aktiven Subjekten.

Die Beteiligungsofferten des Managements sind im gesamten Sample dreifach selektiv: bezüglich (1) der Zahl der einbezogenen Beschäftigten, (2) des Zeitpunkts der Beteiligung und (3) bezüglich des Beteiligungsgegenstands, der auf Effizienzsteigerung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit fokussiert ist. Aber es ist grundsätzlich möglich, den Beteiligungsgegenstand über Beschäftigungssicherung (qua Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit) hinaus um weitere Interessen der Beschäftigten (wie die Qualität der Arbeitsbedingungen) zu erweitern. Damit könnte die arbeitspolitische Kompromissbereitschaft des Managements geweckt werden. Diese grundsätzlich mögliche Erweiterung wird aber weder von Beschäftigten noch vom Betriebsrat als obligatorischer Bestandteil der Beteiligungsformate eingefordert. Gleichwohl lösen die neuen Partizipationsformate Aushandlungsprozesse aus, wodurch arbeitsorientierte Elemente integriert werden. Die Möglichkeit besteht nicht zuletzt deshalb, weil die Machtressource „Erfahrungswissen der Beschäftigten“ auch und gerade im aktuellen Digitalisierungsprozess weiterhin ein elementarer Aspekt in betrieblichen Aushandlungsprozessen ist. Erfahrungswissen, das ist unstrittig im Management wie im Betriebsrat, hat an Bedeutung nicht eingebüßt. Es ist und bleibt für das Management wichtig, jedenfalls solange relevantes Prozess- und Produktionswissen zur Effizienzsteigerung oder allgemein zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit notwendig ist.

Obwohl die in unseren Fallbetrieben vorgefundenen Beteiligungsofferten des Managements dem „effizienzorientierten Partizipationsparadigma“ zugeordnet werden können, scheint es Spielräume zu geben, die Beschäftigte für die Artikulation arbeitspolitischer Interessen nutzen konnten. So wurden in einzelnen Fallbetrieben trotz der primär effizienzorientierten Partizipationsformate Fragen der Qualität der Arbeit aufgegriffen bzw. die Arbeitsbedingungen verbessert. Dies ist zwar arbeitgeberseitig nicht vorgesehen, geschieht jedoch trotzdem, indem Beschäftigte dazu beitragen, Störungen im bisherigen Prozess zu eliminieren und ergonomischere Arbeitsbedingungen einzuführen. Beispielsweise wurden in Abstimmung mit den Beschäftigten (Fallbetrieb E) am Fließband Puffer eingebaut, die den Beschäftigten erlauben, kurzzeitig den Arbeitsplatz zu verlassen (Mikropausen), oder die Lage der Pausen wird durch Multiplikator*innen (Fallbetrieb B, siehe zum Multiplikatorenkonzept in diesem Betrieb unten) geregelt. Auch bei Dominanz von Optimierungs- und Effizienzstrategien lassen sich Interessen von Lohnabhängigen thematisieren und teilweise berücksichtigen – wenn auch nicht systematisch. Die Beseitigung von Störungen im Prozess hat neben der Effizienzsteigerung auch den Aspekt, dass der Arbeitsrhythmus weniger irritiert und damit belastungsärmer wird. Damit ist zu konstatieren, dass das Ziel der Effizienzsteigerung auch vermittelt über arbeitsorganisatorische Gestaltungsmöglichkeiten, die digitale Technologien bieten, verfolgt wird. Im Fallbetrieb B wurde dazu mit den Beschäftigten der Montageplatz samt den Betriebsmitteln ergonomisch eingerichtet und damit belastende Überkopfarbeit eliminiert. Dies kann durch die Beschäftigten selbst, durch unterstützendes Handeln des Betriebsrats oder durch das durchaus funktionale Interesse des Managements, die Motivation der Belegschaft zu erhalten bzw. zu fördern, erfolgen. Insgesamt lässt sich konstatieren, dass weitreichende Interessenverletzungen oder arbeitspolitische Rückschritte in unseren Fallbetrieben nicht zu verzeichnen waren.

Wie selektiv die Beteiligungsangebote sind, hängt von der Größe des Digitalisierungsprojekts, seiner zeitlichen Dauer sowie seinem fachlichen Zuschnitt ab. In kleineren und begrenzten Projekten sind fast alle (interessierten) Beschäftigten in der betroffenen Abteilung mehr oder weniger aktiv beteiligt oder erhalten die Möglichkeiten dazu (Fallbetrieb A, E, F). Die Art der Beteiligung ist häufig „handgestrickt“, sie ergibt sich aus den abteilungsspezifischen Bedingungen und individuellen Interessen.

Bei zwei untersuchten Großprojekten (in den Großbetrieben B, D) erfolgt die Beschäftigtenbeteiligung systematischer und ist kaskadenförmig organisiert. Im Fallbetrieb B wurde ein Multiplikatorenkonzept entwickelt: Die Multiplikator*innen wurden regelmäßig zu Treffen eingeladen und hatten den Auftrag, „Dinge, die jetzt die Mannschaft beschäftigen, im Vorfeld abzufragen“ (Leiter Montage), damit sie im Planungsprozess berücksichtigt werden. Die Auswahl der Multiplikator*innen erfolgte in Eigenregie der Belegschaft. Im Fallbetrieb D wurde ein hierarchisch gestuftes Beteiligungskonzept praktiziert, bestehend aus einem Planungsteam (Führungskräften der Fachabteilungen), Key-Usern, Schichtführenden und den Shopfloor-Beschäftigten.

Die Intensität der Beschäftigtenbeteiligung in den Fallbetrieben variiert von indirekter Beteiligung in Form von Informationsvermittlung über die in der Abteilung anstehenden Veränderungen (alle Fallbetriebe) bis hin zu (Vor-)Klärungen (Fallbetriebe C, F) und (Vor-)Entscheidungen (Fallbetrieb B) über Themen, die Gegenstand von Betriebsvereinbarungen sind. Teilweise werden in den neu geschaffenen Beteiligungsformaten auch Entscheidungen getroffen, die durch das Management nicht mehr einfach zu revidieren sind, wie z.B. im Fallbetrieb B: Hier wurden alle Beschäftigten der Montage zu einem von Führungskräften und Belegschaftsvertretenden vorbereiteten Treffen eingeladen, um Varianten von Werkzeugen zu erproben und zu beurteilen. Das Ergebnis: Sie favorisierten das teurere Produkt. Dieses wurde daraufhin angeschafft, da der Führung klar war: „Ohne die Mitarbeiter ins Boot zu holen und gegebenenfalls auch mehr Geld auszugeben, werden wir hinsichtlich der Ergonomie Schwierigkeiten bekommen“ (Leiter Montage Fallbetrieb B).

In Planungs- und Entwicklungsteams, in denen die technologischen und arbeitsorganisatorischen Weichen gestellt werden, ist die Shopfloor-Ebene in der Regel nicht vertreten, was auch von Beschäftigten und Betriebsräten in den Fallbetrieben nicht eingefordert wird. Teilweise finden in der Planungsphase und begleitend zur Implementierung Workshops statt, in denen zumindest die unterste Führungsebene präsent ist (Fallbetriebe A, C, D, E). Qualifizierung und Beteiligung gehen dabei oft Hand in Hand, wobei die Qualifizierungsangebote meist auf Anpassungsqualifizierung begrenzt sind. Diese wird allerdings in den Fallbetrieben A, B, E durchaus gut organisiert und systematisch betrieben (vgl. Bahnmüller u.a. 2022).

4.1.3 Beteiligungsinteresse der Beschäftigten und Interessenberücksichtigung

Wir haben im vorherigen Abschnitt herausgearbeitet, dass in effizienzorientierten Partizipationsformaten managementseitig neue Beteiligungsofferten an die Beschäftigten gerichtet werden. Doch was sind Gründe und Motive der Beschäftigten, diese Beteiligungsofferten wahrzunehmen? Die neuen Beteiligungsmöglichkeiten scheinen bei den Beschäftigten auf gute Resonanz zu stoßen. In keinem der Fallstudiengespräche wurde über Schwierigkeiten in dem Sinn berichtet, dass Beteiligungsangebote im Digitalisierungsprozess nicht genutzt werden. In Bezug auf die direkte Beteiligung lässt sich zudem in allen Fallbetrieben eine Arbeitsteilung zwischen Betriebsrat und Beschäftigten beobachten. Betriebsräte nehmen im Vorfeld und im Digitalisierungsprozess ihre Schutzfunktion wahr und verhindern grobe Verstöße gegen Beschäftigteninteressen. Gleichzeitig befürworten sie die Beteiligung der Beschäftigten und überlassen diesen das „Feintuning“ des Schutzes und die Optimierung der Prozesse, durch die auch ein Beitrag zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und damit der Arbeitsplatzsicherheit erwartet wird.

Die Beteiligungsmöglichkeiten werden von den Beschäftigten als Wertschätzung ihrer fachlichen Kompetenzen betrachtet. Damit wird ein zentraler Anspruch der Beschäftigten an Arbeit eingelöst (vgl. Kratzer u.a. 2019). Dieses Streben nach Anerkennung wird in den Fallbetrieben offensichtlich bedient – zumindest so weit, dass ihre Motivation, Erfahrungswissen in den Digitalisierungsprozess einzubringen, nicht abflacht. [10] Zudem erfahren die Beschäftigten eine Form der „Würdigung“ (Voswinkel 2001) als vollwertige Organisationsmitglieder, wenn sie in Organisationsentscheidungen einbezogen werden. Ferner erleben die Beschäftigten durch direkte Beteiligungsprozesse Selbstwirksamkeit. Sie sind „der Digitalisierung“ nicht passiv ausgesetzt, sondern erleben sich als handlungsfähige Subjekte im Digitalisierungsprozess (siehe Carls u.a. 2020, 83).

Gespeist wird die Beteiligungsbereitschaft auch durch die Wirkungsmacht, die der vom Management gepflegte „Wettbewerbsdiskurs“ in Kombination mit einem „Chancendiskurs“ (Kuhlmann/Rüb 2020) in weiten Teilen der Belegschaft entfaltet, nämlich hierdurch einen Beitrag zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und damit der eigenen Beschäftigung zu leisten. Diese Diskurse verfangen – vor dem Hintergrund neoliberaler Globalisierung, internationalen Standortwettbewerbs und arbeitspolitischer Defensive von Gewerkschaften und betrieblichen Interessenvertretungen –, so der Eindruck, nicht nur bei Betriebsräten, sondern auch bei Beschäftigten. Im Vordergrund steht, wie auch Nies (2021, 100) für Digitalisierungsprozesse konstatiert, „nicht der Interessenkonflikt […], sondern die gemeinsame Bewältigung des Marktdrucks“.

Gefördert wird das Beteiligungsinteresse auch durch die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten, die sich für besonders Engagierte hierdurch ergeben können. So konnten im Fallbetrieb A durch den Einsatz einer RPA-Software die Personalkapazitäten einer Person eingespart werden. Die Mitarbeiterin, deren Stelle dadurch weggefallen wäre, wurde jedoch nicht entlassen, sondern zur Projektleiterin aller geplanten RPA-Anwendungen befördert. Im Fallbetrieb C war in dem Zeitraum, als das Interview durchgeführt wurde, die Programmierung der RPAs auf wenige Personen im Einkauf konzentriert. Mit dem Ausrollen auf weitere Use Cases soll die Programmierung unter den Einkaufsbeschäftigten weiter verbreitet werden, was einen Qualifikationsaufbau bedeutet.

Außerdem wurden die Arbeitsbedingungen (Arbeitsabläufe, Ergonomie) verbessert, was ebenfalls zur Beteiligung motivierte. Im Fallbetrieb B wurde ein neuer Montagewagen gemeinsam mit Beschäftigten entwickelt und in diesem Zuge alle Betriebsmittel sowie Werkzeuge ergonomisch optimiert und am Wagen angebracht. Dadurch, dass Akkuschrauber und weitere Werkzeuge nicht mehr wie im vorherigen Montagelayout an der Hallendecke hängen, können Rückenbelastungen deutlich reduziert werden. [11] Zudem wurde das vorherige starre Flussprinzip mit vielen repetitiven und kurz getakteten Arbeitsschritten, die zu hohen körperlichen Belastungen führten, durchbrochen. Fallbetrieb E beschäftigte sich in einem Digitalisierungsprojekt ebenfalls mit den Arbeitsabläufen. Das Projekt wurde in Abstimmung mit Beschäftigten vor Ort durchgeführt und verbesserte die Arbeitsabläufe, der Produktionsfluss wurde geglättet und die Beschäftigten konnten ausgeglichener und gleichmäßiger arbeiten, ohne dass sich die weiteren Arbeitsanforderungen verändert haben oder die Arbeitsbelastungen größer wurden. Dies wirkt sich sehr positiv auf die Beschäftigten aus, die zuvor häufige Störungen, Unterbrechungen und schlecht synchronisierte Abläufe individuell ausgleichen mussten.

4.2 Beteiligung der Betriebsratsgremien

4.2.1 Qualität und Intensität der Beteiligung

Viele Untersuchungen beklagen die mangelnde Intensität und Qualität der Betriebsratsbeteiligungen sowie eine nicht ausreichende Informations- und Kommunikationspraxis des Managements (siehe 2.2). Unsere Befunde zeichnen ein differenzierteres Bild.

Die Betriebsratsgremien waren in den meisten Fallbetrieben nicht Teil der Planungs-, Entwicklungs- und Projektteams. Im Fallbetrieb B war ein Betriebsrat in seiner beruflichen Fachrolle Teil des Projektteams. Lediglich in einem Fallbetrieb (A), in dem Betriebsrat und Belegschaft eine umfassende Digitalisierung des Betriebs erstritten haben, kann von einer umfassenden, frühzeitigen und dauerhaften Beteiligung gesprochen werden. Dort finden monatliche Meetings zwischen Betriebsrat und Projektleitung statt, in denen die Entwicklung der beschlossenen Projekte besprochen wird. Die Einzelprojekte obliegen jedoch den jeweiligen Projektteams. Die institutionalisierte Beteiligung des Betriebsrates verläuft meistens jenseits der Meetings von Digitalisierungs- und Entwicklungsteams, wenn auf den betriebsüblichen Wegen mitbestimmungsrelevante Fragen geklärt werden.

Teilweise wird eine dauerhafte Mitarbeit des Betriebsrats in den Planungs- und Entwicklungsteams arbeitgeberseitig nicht gewünscht. Dies wird damit begründet, dass es dort überwiegend um technische Fragen gehe, für die der Betriebsrat nicht als Ansprechpartner gilt (Fallbetrieb B). Teilweise erachten auch die Betriebsratsgremien eine permanente Teilnahme an den Planungsgremien für überflüssig und vertrauen auf eine ggf. im Nachgang korrigierende und effektive Intervention (Fallbetriebe B, E, F). Teils forderten Betriebsräte eine Beteiligung nicht ein, obwohl sie in den Fallbetrieben wahrscheinlich gewährt werden würde (Fallbetriebe B, C, D) ‒ wegen eines Vertrauensvorschusses gegenüber Führungskräften und Planungsstäben, die Beschäftigteninteressen quasi mitführen (Fallbetriebe B, E). Mitunter besteht in den Betriebsratsgremien auch wenig Interesse (Fallbetriebe C, D, E). Das schließt gelegentliche Einladungen zu Meetings der Planungs-/Entwicklungsteams, die von den Gremienvertretungen auch wahrgenommen werden, nicht aus. Eine Politik der geschlossenen Türen wird seitens der Projekt- bzw. Digitalisierungsteams in unseren Fallbetrieben nicht praktiziert. Das Management kennt das Stör- und Vetopotenzial, das der Betriebsrat im Konfliktfall mit Rückgriff auf Mitbestimmungsrechte entfalten kann. Die Betriebsräte unserer Fallstudien fühlen sich nicht offensiv ausgeschlossen. Es gibt umfassende Information, einen engen Austausch und eine funktionale Zusammenarbeit, die für ausreichend erachtet wird. Der Betriebsrat wird über geplante Konzepte und Maßnahmen informiert, er wird gehört und er gibt sein Feedback.

In der Regel ist die Beteiligung des Betriebsrats an den Digitalisierungsaktivitäten durch eine Betriebsvereinbarung abgesichert. Dabei gibt es unterschiedliche Formen von Vereinbarungen. Durch die starken Mitbestimmungsrechte zum Datenschutz und nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle bei der Einführung und Nutzung von digitalen Tools gibt es in allen Fallbetrieben IT-(Rahmen-)Vereinbarungen, die diese Aspekte und die Betriebsratsbeteiligung dabei regeln. Viele Digitalisierungsprojekte lassen sich in diesem Rahmen durch die Betriebsräte begleiten und regulieren. Darüber hinaus wurde beispielsweise in Fallbetrieb D eine gesonderte Betriebsvereinbarung zur Digitalisierung des Unternehmens abgeschlossen; in Fallbetrieb A regelt ein Ergänzungstarifvertrag die konkreten Digitalisierungsanstrengungen.

4.2.2 Handlungsmuster des Betriebsrats

Die Betriebsräte in unserem Sample artikulierten keine Forderungen nach mehr Beteiligung. Wir haben in unseren Fallbetrieben im Kontext von Digitalisierung, bis auf eine Ausnahme (Fallbetrieb A), keine Konflikte zwischen Management und Betriebsrat um Beteiligung beobachtet. Es gab auch keine Aktivitäten der Betriebsräte, um in die Projektteams der konkreten Digitalisierungsprojekte aufgenommen zu werden, oder arbeitsgestalterische Initiativen, um über Beschäftigungssicherung hinausgehende Interessen der Beschäftigten in die Beteiligungsformate zu integrieren und den Beteiligungsgegenstand zu erweitern. Die Betriebsräte klagten nur dann über einen Mangel an Beteiligung, wenn jenseits der Digitalisierungsvorhaben die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats generell in Frage gestellt wurden und immer wieder (in Fallbetrieb E auch gerichtlich) eingeklagt werden mussten. Im Fallbetrieb A gab es jedoch massive Konflikte um Beteiligung im Digitalisierungsprozess. Konfliktgegenstand waren hier nicht negative Folgen geplanter bzw. realisierter Digitalisierung, sondern unterlassener Digitalisierung. Sie wurden beigelegt, indem der Betriebsrat und die Belegschaft mit Unterstützung der Gewerkschaft den Umbau des Betriebs zu einem digitalen „Leuchtturm“ durchsetzten. Durch die forcierte und systematische Digitalisierung wurde dieser Betrieb zum Vorbild innerhalb des Konzerns bezüglich der Ausschöpfung digitaler Potenziale. In den anderen Fallbetrieben funktionierte die Beteiligung der Betriebsratsgremien nach deren Selbstdarstellung gut, was inhaltliche Konflikte zu einzelnen Themen, die mit Digitalisierung verbunden sind, keineswegs ausschließt. Auch angesichts des von Misstrauen geprägten, konflikthaften Kooperationsmusters im Fallbetrieb E hat der Betriebsrat wenig an seiner Beteiligung an den konkreten Digitalisierungsprojekten auszusetzen.

Da der Fokus der Untersuchung auf Beteiligung in Digitalisierungsprozessen lag, können wir keine umfassenden Aussagen zu generellen Konfliktlösungsprozessen treffen. Aber die Einschätzung der interviewten Betriebsräte in allen Fallbetrieben war einhellig so, dass eventuell auftretende Konflikte im Rahmen der etablierten Verfahren gelöst wurden, sodass wir von einer Pfadabhängigkeit der betrieblichen Beteiligungskulturen ausgehen. Mit Ausnahme des Fallbetriebs A, in dem der Betriebsrat als „machtvoller Mitgestalter“ (Kriegesmann u.a. 2010) des Digitalisierungsprozesses agiert, ist das Handlungsmuster der Betriebsräte in allen anderen Fallbetrieben reaktiv. Die Betriebsräte sind umfassend informiert, nehmen aber keine aktive Gestaltungsrolle des Prozesses ein und können angelehnt an die innovationsorientierte Betriebsratstypologie von Kriegesmann u.a. (2010) als „umfassend Informierte“ gefasst werden. Exemplarisch wird das Vorgehen wie folgt beschrieben: „Antrag kommt, dann schaut man sich das an. Kommt kein Antrag, müsste ich ja proaktiv ran, und das ist in den wenigsten Gremien der Fall“ (Fallbetrieb B). Als Gründe für diese vorherrschende Praxis wurden Überlastung, mangelndes Interesse der Betriebsratsgremien und Vertrauen auf sachgerechtes Handeln der Planungsstäbe, die Beschäftigteninteressen teilweise mitdenken, genannt. Die von Kuhlmann und Voskamp (2019, 65) konstatierte systematische „arbeitspolitische Überlastung“ und demzufolge die Konzentration auf „Kernaufgaben“ kann bestätigt werden. Ferner kann festgehalten werden, dass die befragten Gremien (mit Ausnahme von Fallbetrieb A) Digitalisierung weder prioritär betrachten noch behandeln. Die Überkomplexität der betrieblichen Digitalisierungsprozesse erschwert es für Betriebsräte zudem, Handlungsstrategien zu entwickeln. Wir fanden keine aktive Ausgrenzung des Betriebsrats aus den Planungs- und Entwicklungsstäben, allerdings auch keine erweiterten Beteiligungsangebote, wie es sie gegenüber den Beschäftigten gab.

Grundsätzlich stehen die Betriebsräte unserer Fallbetriebe der Digitalisierung offen gegenüber, zumal sie für die Beschäftigungssicherheit als alternativlos gilt: „Es wird Arbeitsplätze kosten. Wenn man es aber nicht macht, wird es noch mehr Arbeitsplätze kosten. Dann sind wir raus“ (Betriebsratsvorsitzender, Fallbetrieb E). Sie scheinen den bereits oben (4.1.3) genannten „Wettbewerbsdiskurs“ (Kuhlmann/Rüb 2020) ebenfalls mitzutragen. Auch sie betrachten die direkte Beteiligung von Beschäftigten als Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungssicherung und konnotieren diese positiv. Folglich standen Betriebsräte den effizienzorientierten Partizipationsformaten für Beschäftigte wohlwollend gegenüber, initiiert haben sie diese jedoch nicht.

In keinem der Fallbetriebe wurde die direkte Beteiligung der Beschäftigten als Konkurrenz oder Parallelstruktur empfunden, die den Einfluss von Betriebsräten mindern könnte. Auch die Vertreter des Managements lehnen eine solche Interpretation ab, wenngleich sie im Fallbetrieb B die neu etablierten Beteiligungsstrukturen durchaus auch nutzen, um dort ihre Sichtweisen zu kommunizieren. So warben die Führungskräfte bei regelmäßigen Treffen mit sog. „Multiplikator*innen“, die von der Belegschaft bestimmt wurden, für ihre Positionen, die in einer in Vorbereitung befindlichen Betriebsvereinbarung geregelt werden sollten. [12]

Die Betriebsräte ihrerseits integrierten die neuen Beteiligungsmöglichkeiten in den von uns untersuchten Fällen nicht systematisch in ihre Arbeit bzw. nutzten sie nicht arbeitspolitisch, selbst wenn dies möglich wäre. Denn die Beteiligung der Beschäftigten kann, wie Haipeter (2018, 318) konstatiert, Betriebsräten „Ressourcen, Kompetenzen und Legitimation verschaffen […], sei es als Partizipation in Konflikten, als Nutzung des Expertenwissens der Beschäftigten oder auch als Stärkung der Fachkompetenz der Gremien“. Trotz des enthaltenen Potenzials wurde beispielsweise in keinem der Fallbetriebe eine Prozessvereinbarung zwischen den Sozialpartnern abgeschlossen, die den Betriebsrat in die Lage versetzt hätte, die neuen selektiven Partizipationsformate für die Beschäftigten systematisch zu begleiten und durch rechtliche Kodifizierung abzusichern. Dies würde allerdings voraussetzen, dass der Betriebsrat als „machtvoller Mitgestalter“ (Kriegesmann 2010) agiert, da dadurch der engste Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes erweitert wird. Sie würden damit von der Wächterrolle in die Gestalterrolle wechseln, also arbeitspolitisch aktiv agieren und Digitalisierung gestalten. In den Fallbetrieben B und E handelten die Betriebsräte, wie bereits oben beschrieben, in den etablierten Pfaden und nutzten die Interventionsmöglichkeiten nicht, indem sie sich beispielsweise aktiv an den Roadshows (Fallbetrieb E) beteiligt oder am regelmäßigen Austausch mit den Multiplikator*innen (Fallbetrieb B) teilgenommen hätten.

Ein positives Beispiel ist der Betriebsrat, der im Rahmen eines öffentlich geförderten Projekts in Fallbetrieb C an der Projektorganisation beteiligt war und einen Workshop mit den direkt betroffenen Beschäftigten durchführte, um die arbeitspolitischen Interessen einzubringen. Die Chancen und Risiken des geplanten Digitalisierungsprojekts wurden verdichtet, mit den Projektverantwortlichen diskutiert und führten zu Verbesserungen.

5 Fazit und Ausblick

Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um Digitalisierung und Industrie 4.0 sind wir in diesem Beitrag der Frage nachgegangen, ob im Zuge der digitalen Transformation von Unternehmen neue Beteiligungsmöglichkeiten für Betriebsräte und Beschäftigte entstehen, wie diese ausgestaltet sind und ob sich in den neuen (direkten) Partizipationsformaten arbeitspolitische Handlungsspielräume für Beschäftigte und Betriebsräte ergeben. Die eingangs formulierten Annahmen stellten sich als weitgehend zutreffend heraus: Wir haben in unseren Fallbetrieben mehrheitlich effizienzorientierte Partizipationsformate und Beteiligungsofferten des Managements vorgefunden. Die Partizipationsformate gehen jedoch auch darüber hinaus: Es hat sich gezeigt, dass in den effizienzorientierten Partizipationsofferten arbeitspolitische Handlungsspielräume vorhanden waren. Dies lässt sich mit dem Aushandlungscharakter von Partizipation erklären, den Dörre als „stille(n) Zwang zum Kompromiss“ (Dörre 2002, 27) bezeichnet. Im Gegensatz zu den in Kapitel 2.1 dargestellten sozialwissenschaftlichen Ergebnissen, die eine starke Dominanz und strikte Form der effizienzorientierten Partizipationsformate konstatieren, kommen wir somit zu differenzierteren und weniger eindeutigen Einschätzungen bezüglich der neuen Partizipationsformate in der digitalen Transformation. Der Aushandlungscharakter von Partizipation führt in den untersuchten Fallbetrieben zu vielfältigen Formen zwischen den beiden Paradigmen, so dass sich effizienz- und arbeitsorientierte Elemente verknüpfen.

So konnten arbeitsorientierte Elemente eingebracht und integriert werden, die über reine Effizienzsteigerungen hinausgehen, und wir können festhalten, dass über alle Fallbetriebe hinweg keine gravierenden Interessenverletzungen und arbeitspolitischen Rückschritte zu verzeichnen waren. Demgegenüber wurden in den Fallbetrieben B und E die Arbeitsbedingungen deutlich verbessert. An diesen Befund schließt sich die Frage an: Unter welchen Konstellationen können arbeitspolitische Interessen der Beschäftigten im Rahmen effizienzorientierter Partizipation eingebracht und berücksichtigt werden? Wie oben (4.1.1.) ausgeführt, haben folgende drei Aspekte einen positiven Einfluss: gute Renditebedingungen, Lean-Erfahrungen und eine problemzentrierte Vorgehensweise bei der Digitalisierung. Mit ihnen steigen die Chancen, dass Beschäftigte auch arbeitspolitische Handlungsspielräume im Rahmen der effizienzorientierten Partizipationsformate nutzen können. So gab es in keinem der Fallbetriebe einen Masterplan, der zentral entwickelt, verabschiedet und top-down umgesetzt wurde. Auch dort, wo Digitalisierungsprojekte zentral angestoßen und koordiniert werden, wird den dezentralen Organisationseinheiten ein weitreichender Gestaltungsspielraum in der Planungs- und Entwicklungsphase, in der Auswahl der Technologien, der konkreten Projektsteuerung und der technischen Umsetzung eingeräumt. Das Vorgehen entspricht eher einem Suchprozess mit rekursiven Schleifen als einem festen Plan oder einer Strategie. Zugespitzt ließe sich formulieren: Es gibt in Digitalisierungsprojekten mehr Problem- als Strategieorientierung, und die Problemlösungen sowie die Strategie werden im laufenden Prozess ausgewählt, entwickelt und kontinuierlich in enger Abstimmung zwischen den zentralen und dezentralen Einheiten angepasst. Das vergrößert die Chancen, Beschäftigteninteressen einzubringen. Die Realisierung hat folgende Voraussetzungen: Erstens müssen die Beschäftigten so frühzeitig beteiligt werden, dass sie noch Einfluss auf die konkreten digitalen Konzepte nehmen können. Zweitens muss der Beteiligungsgegenstand um die Dimension der Beschäftigteninteressen und ihrer Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen erweitert werden. Drittens braucht es arbeitspolitische Fantasie und Gestaltungsideen, um das Ziel der Verbesserung der Arbeitsbedingungen erreichen zu können.

Welche arbeitspolitischen und wissenschaftlichen Rückschlüsse lassen sich aus den genannten Überlegungen ziehen? Arbeitspolitisch kann festgehalten werden, dass eine problemzentrierte Vorgehensweise und die neuen direkten effizienzorientierten Partizipationsformate Betriebsräten Interventionsmöglichkeiten im Sinne der Beschäftigten eröffnen. So können Betriebsräte die temporären Beteiligungsofferten des Managements durch Betriebsvereinbarungen rechtlich absichern. Ein solches Vorgehen bedeutet keine Absage an elaborierte Formen, mittels derer sich Betriebsräte an Strategiediskussionen beteiligen können. Dies ist allerdings ausgesprochen voraussetzungsreich (vgl. Kotthoff 1995) und, wie aktuelle empirische Forschungen zeigen, oftmals ohne externe Unterstützung schwierig (vgl. Haipeter u.a. 2021) sowie am ehesten von Betriebsratsgremien in Großunternehmen mit entsprechenden Ressourcen zu erwarten. Darüber hinaus deuten unsere empirischen Ergebnisse darauf hin, dass eine ausgeprägte Lean-Erfahrung in Fallbetrieben (E, D), die Beteiligungsorientierung beinhaltet, Bottom-up-Prozesse und Beteiligungsmöglichkeiten der Beschäftigten in der digitalen Transformation von Unternehmen befördert. Dies müsste allerdings in weiteren Forschungen empirisch überprüft werden.

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Published Online: 2023-06-09
Published in Print: 2023-03-28

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