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Kritik am Fischsiegel Wie das MSC-Siegel das Vertrauen der Verbraucher verspielt

MSC-Siegel
Das MSC-Siegel sorgt beim Fisch-Einkauf für ein gutes Gefühl. Zu Recht?
© JackF / Fotolia
Nicht nachhaltig, zu wenig transparent: Die Kritik am MSC-Siegel wird immer lauter. Jetzt steigt der NABU aus der Zertifizierung des Blauen Seehechts aus

Was „bio“ für Gemüse ist, ist MSC für Fisch. Nur dass das blaue Logo des Marine Stewardship Council weitaus erfolgreicher ist. Auf mittlerweile zwölf Prozent des weltweiten Fischfangs prangt das Siegel. In Deutschland findet es sich sogar auf mehr als der Hälfte aller verkauften Fischprodukte, von Lachs über Fischstäbchen bis hin zu Katzenfutter. Umfragen zufolge kennen mehr als 40 Prozent aller Deutschen das Siegel. Und vertrauen ihm.

Aber was taugt das Siegel? Wird der gelabelte Fisch wirklich so nachhaltig gefangen, wie Verbraucher glauben? Offenbar sind Zweifel angebracht.

Fernsehreporter deckten kürzlich auf, dass für die MSC-gelabelte Thunfisch-Fischerei in Mexiko immer noch Hunderte Delfine jährlich sterben, weil sie mit den Thunfischen gemeinsam ziehen und in den riesigen Ringnetzen ertrinken. Der MSC gibt die Zahl mit 482 an, Kritikern zufolge sollen es jedoch viel mehr sein.

Ein weiteres Beispiel: In derselben Reportage beklagt der Fischereiexperte Rainer Froese, dass MSC selbst die extrem zerstörerische Grundschleppnetz-Fischerei auf Schollen in der Ostsee zertifiziert. Der strukturreiche und lebendige Meeresboden, so der Experte, gleiche nach dem Fischzug einer Schlammwüste.

„MSC hat die Gründungsidee aus den Augen verloren“

Auch andere Experten und Organisationen melden sich kritisch zu Wort. Anfang 2018 veröffentlichte ein internationales Bündnis von 66 Verbänden und Wissenschaftlern einen offenen Brief an den MSC. Die Gründungsidee – Naturschutz und Fischereiwirtschaft in ein Boot zu holen, um die rücksichtslose Plünderung der Meere zu beenden –, habe MSC aus den Augen verloren. Die wichtigsten Kritikpunkte:

MSC zertifiziere selbst Fischereibetriebe, die

  • mit jedem Fang unabsichtlich bedrohte Tiere fangen, zum Beispiel Delfine.
  • große Mengen sogenannten Beifangs routinemäßig tot über Bord werfen.
  • mit Schleppnetzen empfindliche Meeresböden unwiederbringlich zerstören.
  • weiterhin überfischte Fischarten fangen.
  • große Teile ihres Fangs mit nicht nachhaltigen Methoden fangen.

Zertifizierter Fisch mit illegalen Praktiken gefangen

Und die Kritik reißt nicht ab. Jüngstes Beispiel: Die NABU International Naturschutzstiftung stieg kürzlich aus der Zertifizierung von neuseeländischem Hoki aus. Der Tiefseefisch, der auch Blauer Seehecht genannt wird, ist hierzulande nicht sehr bekannt; gegessen wird er dennoch oft. Deutschland importiert 3300 Tonnen jährlich im Wert von fast zehn Millionen Euro; größter Abnehmer weltweit ist die Restaurantkette McDonald’s. Der Vorwurf der Naturschützer:

Die Fischart werde in Neuseeland seit vielen Jahren mit illegalen Praktiken gefangen, darunter die Befischung von Brutgebieten und falsche Angaben zu Fang- und Beifangmengen. Beim Fang würden in den Netzen der Trawler auch Seebären, Albatrosse, Riesenhaie und Delfine verenden, darunter auch die vom Aussterben bedrohten Hector- und Maui-Delfine, so der Naturschutzverband. Die Bewertung der Hoki-Bestände, so der Vorwurf, nehme die Fischereiindustrie selbst vor. Und ignoriere dabei unabhängige wissenschaftliche Studien.

Kürzlich stand die Überprüfung der Zertifizierungsvoraussetzungen für den Hoki an. „Wir haben ungefähr 15 wichtige Kritikpunkte angebracht“, sagt Barbara Maas von der NABU International Naturschutzstiftung. „Alle wurden vom Tisch gewischt.“ Die Artenschutzexpertin kennt die Branche gut, hat lange vor Ort gearbeitet. „Das neuseeländische Fischereimanagement“, sagt sie, „ist auf einem Stand, wie man es in einem Entwicklungsland erwarten würde“.

Schon 2016 sorgte eine Veröffentlichung im renommierten Wissenschaftsmagazin „Nature“ für Wirbel: Die tatsächlichen Fangmengen der Neuseeländischen Flotte, so die Forscher, lägen um das 2,5-Fache höher als die offiziell gemeldeten Zahlen.

Verbände fordern eine Reform des MSC

Für Barbara Maas ist der Hoki nur ein symptomatisches Beispiel für die Probleme des MSC. Sie schloss sich darum mit der NABU International Naturschutzstiftung der Initiative „Make Stewardship Count“ an. Die teilnehmenden 82 Verbände aus aller Welt fordern den MSC zu weitreichenden Reformen auf: darunter den Verzicht auf die Zertifizierung von Fischereien, die es auf Fischarten abgesehen haben, die mit Meeressäugern zusammen leben. So wie Thunfische und Delfine. Auch müssten Sozialstandards auf den Fangschiffen Berücksichtigung finden. Und der Zertifizierungsprozess müsse transparenter werden.

Im Zentrum der Kritik: Die Zertifizierung nimmt nicht der MSC selbst vor – sondern ein vom MSC autorisiertes Unternehmen. Ausgesucht und bezahlt werden diese Zertifizierer aber von denselben Fischereiunternehmen, die das Siegel haben wollen.

MSC will weiter wachsen

MSC will ungeachtet der lauter werdenden Kritik weiter wachsen. Ein Drittel aller Fischprodukte sollen nach dem Willen des Chefs der Organisation, Rupert Howes, das Siegel tragen. Auch weil der Handel danach verlangt. Für MSC ist das Labelling ein einträgliches Geschäft. Rund 17 Millionen Euro nimmt die Organisation durch die Vergabe jährlich ein. Aus dem Mund von Rupert Howes klingt das so: „Zu viel Perfektion ist gefährlich, sonst verlieren wir das wichtigste Ziel aus den Augen: die Fischerei insgesamt in Richtung Nachhaltigkeit zu schieben.“

Und was rät Barbara Maas Menschen, die weiterhin Fisch essen wollen? "Sprechen Sie das Thema beim Händler oder im Schnellrestaurant an“, rät die Artenschutzexpertin. "Denn nur so spürt auch der Handel, dass das Thema nachhaltige Fischerei den Konsumenten wirklich wichtig ist.“ Welcher Fisch überhaupt noch gekauft werden sollte, das geht aus dem Greenpeace-Fischratgeber hervor. Der listet den neuseeländischen Hoki unter: „Finger weg!“

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