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Seit 2021 hat die Inflation in nahezu allen westlichen Ländern erheblich zugelegt. Mit Werten um 10 % erreichte sie ein Niveau, das zuletzt Anfang der 1980er Jahre erreicht wurde. Da die Inflation auch damals mit einem starken Anstieg der Energiepreise einherging, wurde in der geldpolitischen Diskussion der vergangenen Monate immer wieder der Vergleich mit dieser Hochinflationsperiode bemüht. Dies galt vor allem für die Fragen, wie stark und schnell die Zentralbanken den Zins erhöhen müssen und wie lange eine restriktive Geldpolitik notwendig ist. Seit dem Kollaps der Silicon Valley Bank gehen die historischen Vergleiche allerdings wieder verstärkt in Richtung 2008, als eine ebenfalls um die Eindämmung der Inflation bemühte Geldpolitik von der globalen Finanzkrise beendet wurde. Das gleiche Muster war vor dem Platzen der Dotcom-Blase zu Beginn des Jahrtausends zu beobachten. Damit gingen die letzten drei Episoden einer die Inflation bekämpfenden Geldpolitik mit erheblichen Verwerfungen auf den Finanzmärkten einher.

Die Gegenüberstellung wirft die Frage auf, warum es der Geldpolitik früher möglich war, die Inflation ohne Finanzkrisen zu bekämpfen, während dies in jüngster Zeit nicht mehr zu gelingen scheint. Die Betonung liegt auf „Krise“; denn dass eine restriktive Geldpolitik fallende Kurse von Aktien und Wertpapieren auslöst, ist unvermeidbar und Teil des Transmissionsprozesses. Eine Antwort auf diese Frage lautet, dass die Geldpolitik selbst für diesen Unterschied verantwortlich ist. Eine viel zu expansive Geldpolitik in den Ruhephasen zwischen Finanzkrisen legt die Saat für die nächste Finanzkrise. Das Problem an dieser Sichtweise ist, dass gemessen am Ziel Preisstabilität eine zu expansive Geldpolitik vor allem in den krisenfreien Jahrzehnten vor 2000 zu beobachten war. Denn damals gelang es den Zentralbanken nicht, die Inflationsraten auf Niveaus um die 2 % zu drücken. Das heißt nicht, dass die Geldpolitik der vergangenen 20 Jahre fehlerfrei war, vor allem nicht seit 2021. Aber gemessen am Mandat Preisstabilität fällt es schwer, ihr grundsätzlich eine zu expansive Ausrichtung vorzuwerfen.

Eine zweite Erklärung von Finanz- und Bankenkrisen zielt auf Managementfehler in den Banken. Richtig ist, dass sich nahezu immer gute einzelwirtschaftliche Argumente finden lassen, angefangen von einem scheinbar grundsätzlich fehlenden Geschäftsmodell bis zur berühmten „Gier“ von Vorständen und Eigentümern, die die Schieflage von Instituten erklären können. Aber auch hier ist fraglich, ob damit die scheinbar neue Normalität von Finanzkrisen im Zuge einer restriktiven Geldpolitik erfasst werden kann. Gibt es fehlende Geschäftsmodelle und gierige bzw. unfähige Manager wirklich erst seit 20 Jahren?

Es bleibt ein dritter Ansatz: er erklärt die gestiegene Fragilität des Finanzsystems in Zeiten einer restriktiven Geldpolitik damit, dass die Qualität der von Banken gehaltenen Aktiva in dem seit Mitte der 1980er Jahre immer stärker deregulierten, integrierten und komplexen Finanzsystem deutlich schwerer einzuschätzen ist (was „gieriges“ Verhalten erleichtert) als in dem weitgehend regulierten, nationalen und von „bread-and-butter“-Transaktionen, wie Krediten und Einlagen, getriebenen Finanzsystem der ersten Jahrzehnte nach dem 2. Weltkrieg. In Zeiten einer restriktiven Geldpolitik, die mit sinkenden Vermögenspreisen und einer abflauenden Konjunktur einhergeht, widmen sich Bankgläubiger daher viel stärker der Frage, wie sicher ihre Forderungen an ihre Bank sind. Steigende Unsicherheit lässt es aber ratsam erscheinen, im Zweifelsfall die Einlagen abzuziehen, weil „der Durchblick fehlt“ wie es in Medien für Credit-Suisse-Anleger formuliert wurde. Da Banken Fristentransformation betreiben – die Silicon Valley Bank hatte sich hier besonders hervorgetan – verstärkt eine Vertrauens- und Liquiditätskrise die ohnehin schon vorhandenen Solvenznöte. Angesichts der Integration und Verknüpfung von Banken hat dies Ansteckungseffekte, die allein auf der Überlegung beruhen können: wenn eine Bank kollabieren kann, warum soll das nicht auch für andere Banken gelten? Daraus ließe sich der Schluss ziehen, entweder die finanzielle Globalisierung mit immer komplexer werdenden Finanztransaktionen rückgängig zu machen oder über verstärkte Regulierung das System robuster werden zu lassen. Letzteres wurde nach der globalen Finanzkrise versucht; die jüngste Krise zeigt, dass dies aus welchen Gründen auch immer nicht in dem gewünschten Maße funktioniert hat. Da ein Zurück in die „gute, alte Zeit“ nationaler Finanzsysteme mit geringer Komplexität keine realisierbare Option zu sein scheint, lassen sich drei Schlussfolgerungen ziehen:

  1. In dem veränderten Finanzmarktumfeld ist eine restriktive Geldpolitik viel stärker mit dem Risiko von krisenhaften Zuspitzungen konfrontiert als es in den inflationären 1970er und 1980er Jahren der Fall war. Das herkömmliche Schwert der Geldpolitik, die Zinspolitik, ist also schärfer geworden. Dies ist ausdrücklich kein Argument, es nicht zum Erreichen des Mandats Preisstabilität einzusetzen. Vielmehr ist es ein Argument, Inflationsrisiken sehr ernst zu nehmen, weil bekannt ist, dass das Zinsinstrument zwar sehr wirksam ist, sein Einsatz aber sehr teuer sein kann.
  2. Der Lender of Last Resort in all seinen Formen gehört zum normalen geldpolitischen Instrumentenkasten. Er ist kein ordnungspolitischer Sündenfall, sondern im Gegenteil ein Instrument, das Ordnung schafft, weil es Notenbanken vor finanzieller Dominanz schützt. Gerade weil die auftretenden Finanzstabilitätsrisiken nun beherrschbar sind, kann die Geldpolitik die für die Sicherung von Preisstabilität notwendige Zinserhöhungen vornehmen. Wichtig ist: es geht um den Kreditgeber der letzten Instanz, nicht den Kapitalgeber. Die Solvenzsicherung bleibt Aufgabe der Eigentümer bzw. des privaten Sektors insgesamt, und wenn diese sie nicht mehr gewährleisten können, der Regulierungsbehörden und Regierungen. Folgerichtig waren diese Akteure auch bei der Übernahme der Credit Suisse beteiligt, und erlaubten dem Schweizer Notenbank-Präsidenten zu versichern, dass die Kredite der SNB keine Geschenke sind. Und in der Tat: nur wenn diese Kapitalgeber der letzten Instanz fehlen oder wegen vermeintlicher Gefahren aufgrund von Moral Hazard gar nicht zum Einsatz kommen würden, entsteht für die Notenbank das so oft beschworene Dilemma zwischen Preis- und Finanzstabilität wählen zu müssen.
  3. Finanzkrisen wirken per Definition disinflationär, weil sie eine Überschussnachfrage nach Geld und anderen sehr sicheren Anlageformen implizieren. Dies wurde auch in der jüngsten Krisenepisode in Form sinkender Zinsen auf Staatsschuldtitel und steigender Nachfrage nach Liquidität bei den Notenbanken deutlich. Im Idealfall eines perfekt operierenden Lender of Last Resort können diese Effekte vernachlässigt werden, weil die Krise ja erfolgreich bekämpft wird. Je länger eine Krise schwelt, desto wahrscheinlicher ist es aber, dass sie auf Güter- und Arbeitsmärkte überspringt. Dies zu berücksichtigen, ist dann Aufgabe der Notenbank. Daher ist vor reflexartigen Vorwürfen zu warnen, die Notenbanken würden vor der Macht der Finanzmärkte und Banken einknicken, wenn sie im Zuge einer länger anhaltenden Finanzkrise zu einem moderateren Zinskurs übergehen. Preisstabilität bleibt das Ziel, auch und gerade in Krisenzeiten.

Insgesamt sind Geld- und Wirtschaftspolitik also prinzipiell in der Lage, mit der Anfälligkeit des Finanz- und Bankensystems in Phasen der geldpolitischen Restriktion umzugehen. Dennoch bleibt sie eine schlechte Sache, weil sie wohl den Eindruck verstärkt, dass „die da oben“ die Dinge nicht mehr unter Kontrolle haben bzw. sich vor allem um die Stabilität von Banken kümmern, während realwirtschaftliche Unternehmen im Regen stehen gelassen werden.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0068